Reflexion und Einfühlung

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Reflexion und Einfühlung

Interview mit Annabelle v. Girsewald 

 

AvG: Friedrich Kiesler (1890-1965) war nicht nur austro-amerikanischer Architekt sondern auch Künstler, Designer und Theoretiker. Sein Werk basiert auf der Idee des Zusammenwirkens von Architektur, Theater, Design, Wissenschaft und Bildender Kunst. Bekannt wurde er für sein innovatives Ausstellungsdesign. In den 1940er Jahren organisierte Kiesler Ausstellungsprojekte als Austausch zwischen der europäischen Avantgarde der Vorkriegszeit und der neuen jungen amerikanischen Künstlergeneration. Kiesler suchte nach einer Definition der Wahrnehmung des Subjekts. Um 1938 und 1939 arbeitete er an seiner Vision Machine, um die physischen Konditionen von Wahrnehmung und deren psychologische Blockaden und Unterbrechungen zu untersuchen. Auf Zeichnungen gliederte er seine Maschine in drei Teile: Dem Objekt, dem Auge, dem Raum dazwischen und dem Teil eines sprechenden Apparates. ‚Vision‘ ist nicht eine separate Angelegenheit, sondern ist von einer gesamten Erfahrung geformt. Man sieht keine realen Objekte, sondern das erfundene oder symbolische Bild, das wir für Objekte halten. Inwiefern ist die Vision Machine im Sinne von Kiesler für dich wichtig? Inwiefern muss man bei deinen Arbeiten das gesamte Werk sehen, um alles zu verstehen? Wie wichtig sind das Ausstellungsplakat, die Fotografien der Performances und die Bilder, um dein Museum of Non-Objektive Art zu verstehen?

 

AH: Das Museum of Non-Objective Art (sowie sein Ableger das Museum of Fear & Desire) sind eine Art ‚Container of Perpetual Inventory‘ eine fortlaufende Inventarisierung des darin enthaltenen Materials, dessen anwachsende Bestände einen musealen Rahmen definieren. Innerhalb dieses Rahmens kommt es zu Verschiebungen und Überlagerungen. Das museale Setting ist dem Akt des Wahrnehmens und Erinnerns nachempfunden, der ähnlichen Abweichungen und Überschreibungen ausgesetzt ist. Er ist nicht fixierbar, sondern subjektiv, eine Art ‚Phantom Inventory‘. Jedes Objekt bewahrt zwar seine Autonomie, ist aber mit den anderen Arbeiten verflochten. Sie sind durch die Direktive des Blicks so inszeniert, dass sich ein Wechselspiel ergibt, und das Feld der Wahrnehmung erweitert wird.
Auf den Fotos der Künstlergruppe The Anonymous Circle 1-4 zum Beispiel inszeniert sich jeder einzelne Akteur der Gruppe in einem asymmetrischen Bühnenrahmen, der gleichzeitig der Rahmen des Bildes ist. Zusätzlich gibt es ein Plakat einer gemeinsamen historischen Performance aus dem Jahre 1948. Innerhalb der rekonstruierten Ausstellung ist es sowohl Zeitdokument als auch aktuelle Ankündigung. Es ist allerdings nicht klar, ob man den Akt einer erneuten Uraufführung gerade wieder verpasst hat, oder diese noch immer zu erwarten ist. Man befindet sich in einer Zeitschlaufe.

 

AvG: Wie wichtig ist es, die Vergangenheit aufzusuchen? Der Titel Future Revisited deines Katalogs verweist auf die Zukunft, aber wir erfahren, dass diese Ausstellung der Zukunft, die Zukunft ist, welche die Ausstellung ersehnt hat. Könntest du bitte mehr zu dem Thema Zeiten aus verschiedenen Perspektiven sagen?

 

AH: Future Show ist eine Art Vexierspiel. Darin geht es um die Rekonstruktion verlorener Objekte, der sogenannten ‚lost objects‘, einer Ausstellung, die in der Vergangenheit stattgefunden hat, aber damals auf die Zukunft ausgerichtet war. Diese verlorenen Objekte sollen rekonstruiert werden, ihr Verlust ist gleichzeitig der Motor. In dem Moment, in dem wir die vergangene Zukunft wiederholt aufsuchen, machen wir das mit dem Wissen um den Ausgang dessen, worauf ihre Vision damals ausgerichtet war. Gleichzeitig ist das Antizipierte als Retrospektive ein Paradox. Das, was sich die Ausstellung von der Zukunft ersehnt hat, erweist sich als das Versprechen einer Utopie, von der wir aber bereits wissen, dass sie sich nicht eingelöst hat, nicht, weil sie damals die zeitgenössischen Kriterien nicht erfüllt hat, sondern weil die Kriterien der Kunstgeschichte sich aufgrund politischer, kulturpolitischer Strömungen und sozialer Faktoren ändern. Ich beziehe mich auch auf Aby Warburg und seine ikonografische Wissenschaft, dass Bilder Wiedergänger sind und die Antike in modifizierter Form in der Moderne weiterlebt. Das Gesehene wird immer wieder überschrieben und modifiziert, andere Bilder legen sich darüber, die Alten blitzen noch darunter auf und haben ein Nachleben. Sie lassen sich wiedererkennen oder verkennen. Sie tarnen sich oder sind scheinbar illusorisch.

 

AvG: Was bedeutet der Mechanical Mirror in deinem Video? Beziehst du dich hier auf Kieslers Film Guild Cinema von 1929, sein erstes Projekt und einziger Bau als Architekt, nach dem die Leinwand verstanden werden kann als reflektierender Spiegel und als transparente Linse?

 

AH: Der Mechanical Mirror ist eine Referenz an Kieslers visuelle Apparate, mit denen er seine Wahrnehmungstheorien modellhaft übersetzt hat. Der Akt des Sehens wird zum Ereignis an sich und amalgamiert mit seiner Umgebung. Das, was sich während des Sehens ereignet und visualisiert, wird gleichzeitig vom Objekt gespiegelt und als Projektion seiner Umgebung zurückgeworfen.
In dem Film Future Show habe ich diesen Akt der Transformation in Filmbilder umgesetzt. Sie funktionieren in Überblendungen von Einzelbildern wie eine Animation, allerdings in Zeitlupe, und gehen mit dem unterlegten Sprechertext eine Synthese ein. Die komplexe Information über den Sehakt und seine zeitgleiche Visualisierung, ist beim Versuch des Betrachtens desselben jedoch irritierend. Zurück bleibt vielleicht das Gefühl, das sich einstellt, wenn man versucht, einen Traum zu erinnern. Die Bilder verflüchtigen sich langsam mit dem Sprechen, sie drohen, sich aufzulösen, je mehr man sie fixieren möchte.

 

AvG: Könntest du etwas zu den Künstlern der Gruppe Anonymous Circle sagen, die für die Arbeiten der Ausstellung Future Show im Museum of Non-Objektive Art verantwortlich sind? Warum anonym? Wenn die Aufgabe des Museums darin besteht, zu bewahren und zu exponieren, inwiefern passt dieser Ansatz zu dem Anliegen dieser Künstlergruppe, anonym, d.h. letztlich nicht gänzlich erklärbar zu sein? Inwiefern ist das Museum an sich dein eigenes kollektives Gedächtnis? Was behauptest du mit deinen Arbeiten?

 

AH: Die Gruppe The Anonymous Circle vereint die Gegensätze und Widersprüche in dem Konstrukt von Identität. Ihre multiple Erscheinungsform ermöglicht es ihr, disparat zu bleiben und sich dementsprechend zu inszenieren. Das Kollektiv kann sich auflösen und immer wieder neu erfinden. In diesem Sinne unterwandert es die Institution des Bewahrens. Andererseits bestätigt es den Akt der Erinnerung. Der Künstler spürt das kollektive Gedächtnis auf, z.B. indem er einen Fundus von Bildern, Objekten oder anderen Formen von Überlieferungen zusammenträgt, die Platzhalter oder Behältnisse dieses Gedächtnisses repräsentieren. Sie laufen durch seinen persönlichen Filter, so dass neue Verbindungen und Assoziationen geschafft werden.
So tragen die einzelnen Akteure des Anonymous Circle zum Beispiel die Bilder der Ausstellung als Kostüme, sie repräsentieren und behausen sie. Ihre Darstellung, d.h ihr Vorführen meint zugleich auch ihr Ausstellen. Die Verkörperung der Bilder ist die eigentliche Arbeit der Darstellung. Mit ihr gelangt auch etwas anderes in die Sicht als nur ihr Sinn, etwas Nichtrepräsentierbares...

 

AvG: Friedrich Kiesler entwickelte Präsentationssysteme für Ausstellungen, Betrachtungsapparate und Rauminstallationen. Die Ausstellung selbst wurde zum ‚Wahrnehmungsapparat‘. Sie diente dazu, seine Theorie des Correalismus zu testen, der das Verhältnis von Architektur, Mensch und Umwelt wissenschaftlich und analytisch zu begründen suchte. Wie siehst du die Verbindung zwischen dem musealen Setting in dieser Ausstellung, den Erscheinungsformen von Identität, wie sie der Anonymous Circle repräsentiert, und des Kontexts vom ewigen Versprechen der Utopie? Was ist die Bedeutung verschiedener Realitäten bei deiner Präsentation in KAI 10?

 

AH: Das museale Setting versetzt die Arbeiten bewusst in ein retrospektives Licht, welches unseren Blick in eine Distanz lenkt, und welches gleichzeitig als Vision der Utopie vorausstrahlt. Wie alte Sterne. Der Raum, der entsteht, ist eine Art vollendete Zukunft. In diesem Spannungsverhältnis operieren die Exponate als Fragmente eines Gesamtkonstrukts, als Teile eines übergeordneten Apparates. In den Arbeiten tauchen immer wieder ähnliche Details auf, die in jeweils andere Medien eingewoben werden. Im Museumsvideo Future Show zum Beispiel tauchen alle anderen Bilder der Ausstellung nochmals ineinander geblendet und aneinander montiert auf. Teile der Kompositionen der Bilder lösen sich aus den Bildern heraus und floaten im Raum. Sie durchbrechen die Begrenzungen der Bilder. Sie greifen in den Raum über und lösen die Raumzeit auf. In der Arbeit Escape from Fiction hingegen, dem Portrait eines Paars sechsfingriger Paillettenhandschuhe, welche die Größe meiner eigenen Hände haben, sich aber als zwei identische linke Handschuhe entpuppen, vollzieht sich ein Zeitsprung in die jüngere Geschichte. Sie sind ein Nachbau des Handschuhs von Michael Jackson, der märchenhaft verfremdet, unter den anderen Artefakten im Museum in gewisser Weise eine Auferstehung erlangt.